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AgE-Abschiedsinterview mit Jürgen Mertz

Der scheidende Präsident des Zentralverbandes Gartenbau (ZVG), Jürgen Mertz hat dem Pressedienst Agra-Europe ein letztes Interview gegeben. Darin spricht er u.a. über seinen blumenreichen Umgang mit der Politik, seine Arbeit in der Zukunftskommission Landwirtschaft und seine Pläne für den Ruhestand.

Herr Mertz, was wird der zukünftige Energieträger im Gartenbau sein? 
Das kann ich Ihnen derzeit nicht beantworten. Wir diskutieren dieses Thema seit Längerem im Verband und kommen zum Ergebnis, dass für viele Betriebe kaum einer der möglichen regenerativen als alleiniger Energieträger infrage kommt. Wir brauchen einen breiten Energiemix, angepasst an die jeweilige Situation. Vielen gewerblichen Gartenbaubetrieben fehlen beispielsweise Lagermöglichkeiten für Holzhackschnitzel oder Pellets.

Also zurück zu fossilen Trägern? 
Wir müssen uns in der Tat damit beschäftigen, den fossilen Energieträger Gas so sauber zu bekommen, dass er wesentlich weniger CO2 bei der Verbrennung freisetzt als bislang. Bei Fahrzeugen hat man es durch Filtertechnik geschafft. Warum sollte das nicht auch bei Gasheizungen funktionieren?

Sie zweifeln am Sinn der Energiewende? 
Nein, dazu stehen wir. Aber man muss uns mitnehmen und genügend Zeit für Anpassungen einräumen.

Das Bundesprogramm Energieeffizienz läuft seit Langem. Sind Sie zufrieden? 
Ja. Das Programm läuft seit fast 15 Jahren und hat maßgeblich dazu beigetragen, den CO2-Ausstoß im Gartenbau und durch die Effizienzsteigerungen den Energieeinsatz zu verringern. Das war und ist von der Politik gut investiertes Geld. 

Wegen der Haushaltsvorbehaltsturbulenzen lagen die Fördermittel beinahe ein Jahr auf Eis. Ist damit Vertrauen verloren gegangen?
Wir haben immer wieder auf die Probleme hingewiesen und sind froh, dass es jetzt weitergeht. Es ist ein Förderprogramm zugunsten von Gartenbau und Landwirtschaft mit wichtigen Impulsen für den Klimaschutz. Nicht nachvollziehen können wir, dass mit dem Neustart ein vorzeitiger Maßnahmenbeginn nicht mehr möglich ist. Das macht es für die Betriebe unnötig langwierig.

Der Zentralverband verfügt traditionell über gute Drähte in die Politik, mindestens einmal im Jahr haben Sie einen festen Termin im Kanzleramt, wenn Sie zum Valentinstag einen Blumenstrauß übergeben. Hilft Ihnen das? 
Zumindest schadet es nicht. Ich denke, dass wir einen sehr guten Zugang zur Politik haben. Das galt für die unionsgeführten Regierungen in der Vergangenheit, das gilt auch für die gegenwärtige Ampelkoalition. Mein Anspruch in den letzten zwölf Jahren als Präsident war, ein verlässlicher Partner für die Politik zu sein. Dazu gehört der Versuch, mit Argumenten für eigene Anliegen zu werben, und nicht immer die große Keule auszupacken. Damit waren wir bei Angela Merkel und ihren Agrarministerinnen und -ministern erfolgreich, und es verschafft uns auch ein offenes Ohr bei Cem Özdemir.   

In welchem Umfang hängt verbandspolitischer Erfolg von persönlichen Kontakten ab? 
Zu mehr als 90%. Dabei geht es nicht um einzelne Personen wie den Präsidenten, sondern das gesamte Netzwerk, über das ein Team eines Verbandes verfügt. Ich glaube, das haben wir in den letzten Jahren ganz gut gemacht.

Wie haben Sie Ihre Rolle an der Spitze des Verbandes verstanden? 
Mein Ziel war, das Gesicht der Branche zu sein und den Verband mit seinen Mitarbeitern als ernsthaften Gesprächspartner für die Politik zu etablieren. Dabei waren und sind wir bestrebt, uns erst dann zu Wort zu melden, wenn es angebracht ist. Die politisch Verantwortlichen wissen, wenn der Gartenbau sich meldet, gibt es ein Problem. Wir gehen nicht mit jedem Thema auf die Straße. 

Diplomatie statt Protest – reicht das? 
Wir haben die Bauernproteste im Winter mitgetragen. Dass es dabei laut wurde, lag in der Natur der Sache und war angebracht, wenngleich die Wortwahl bei den Demonstrationen für meinen Geschmack an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausgeschossen ist. Erschrocken hat mich aber die Ratlosigkeit in den Ampelfraktionen angesichts der Proteste.  

Was meinen Sie? 
Ich meine, dass die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen in Ermangelung eigener Vorstellungen die Zukunftskommission Landwirtschaft einladen und von ihr innerhalb weniger Wochen ein Konzept erwarten. Das drückt die Hilf- und Ratlosigkeit der Politik in unserem Bereich aus. 

Trotzdem hat man den Eindruck, der Frust über die Politik ist im Gartenbau nicht so groß wie gegenwärtig in der Landwirtschaft. Täuscht das? 
Ja. Der Unmut bei den Gartenbaubetrieben ist sehr groß. Wir haben ja deshalb die Agrarproteste von Anfang an unterstützt. Unter dem Motto „Es geht um mehr“ haben wir deutlich gemacht, in wie vielen Themenfeldern ein große Unzufriedenheit des Gartenbaus mit der aktuellen Politik herrscht. Denn Agrardiesel & Co haben das Fass nur zum Überlaufen gebracht. Allerdings darf man nicht vergessen, dass es deutlich weniger Gärtner als Landwirte in Deutschland gibt. Das mag den Eindruck erklären. 

Was hat sich in den zwölf Jahren im Umgang zwischen Politik und Verbänden verändert? 
Die Einführung des Lobbyregisters hat unsere Arbeit erschwert. Wir müssen jeden Besuch eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin in Abgeordnetenbüros des Bundestages dokumentieren, einschließlich der dort besprochenen Themen. Das ist hanebüchen und nicht mehr nachvollziehbar. Einerseits will man Bürokratie abbauen, baut sie aber mit solchen Misstrauensregelungen massiv auf. Wir können als Verband für diese immense Zusatzaufgabe keinen neuen Mitarbeitern einstellen.

Sie waren Mitglied der ersten Zukunftskommission Landwirtschaft und gehören auch der neu berufenen ZKL an. Was ist anders geworden? 
In der ersten ZKL waren das Kanzleramt und die Ministerien mit am Tisch, wenn auch nur als Beobachter. Das fand ich hilfreich. Gravierender ist jedoch der Unterschied in der Atmosphäre. Die hat sich deutlich verschlechtert. Nachdem insbesondere die EU-Kommission auf die Bauernproteste reagiert und aus meiner Sicht notwendige Korrekturen in der Agrarpolitik vorgenommen hat, haben die Umweltverbände in der ZKL einen härteren Kurs eingeschlagen. Nach meinem Eindruck versuchen sie umso vehementer, eigene Positionen in der Zukunftskommission durchzusetzen. Das macht eine Einigung mit den Wirtschaftsverbänden sehr viel schwieriger. Bei Themen wie Pflanzenschutz oder neue Züchtungsmethoden war es schon in der ersten ZKL nicht leicht. Aber jetzt ist es insgesamt noch mal erheblich schwieriger geworden, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Die NGO-Seite kämpft mit harten Bandagen, wir als Unternehmerverbände aber auch.

War es ein Fehler, die ZKL fortzuführen?
Nein, weil Kommunikation miteinander immer gut ist. Aber wichtig wäre es gewesen, man hätte mit der politischen Umsetzung des Abschlussberichtes der ersten ZKL begonnen. Außer Hinweise auf den guten Willen, aber fehlendes Geld, war dazu leider nichts zu hören.

Hat sich das Verhältnis der Wirtschaftsverbände zu den Umweltverbänden verschlechtert?
Nicht das Verhältnis im persönlichen Umgang. Aber die inhaltliche Auseinandersetzung ist härter geworden.

Sie haben viele Stunden in der ZKL verbracht. Hat sich die Arbeit gelohnt? 
Ja. Und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Ich habe über die Zukunftskommission mein Netzwerk intensivieren und ausweiten können, auch zur NGO-Seite. Es hat allen Seiten gutgetan, sich eingehend mit den Argumenten der „anderen Seite“ zu befassen, sie abzuwägen und nicht gleich dagegenzuhalten.  

Aber das Netzwerk ist nicht so stark, dass Sie die jetzigen Unstimmigkeiten vom Tisch räumen können? 
Netzwerk heißt nicht, dass man sich einig ist. Netzwerk heißt, dass man sich akzeptiert und fair miteinander umgeht. Daran hat sich nichts geändert. Das kann ich zumindest für mich sagen.

Werden Sie bis auf weiteres Mitglied der ZKL bleiben?
Ich bin als Präsident des Zentralverbandes Gartenbau berufen worden. Wenn ich nicht mehr im Amt bin, wird meine Nachfolgerin meinen Platz in der ZKL einnehmen. 

Sie waren einer der Wegbereiter für den Bundesträger in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Haben sich die Erwartungen an die Organisationsreform für den Gartenbau erfüllt? 
Ja. Und zwar uneingeschränkt. Der Gartenbau ist eine wichtige Säule in der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau geworden. Die Gartenbau-Berufsgenossenschaft war beispielgebend in der Prävention. Das haben wir eingebracht in die SVLFG. Die Prävention hat seither immer mehr an Bedeutung gewonnen. Ich kann also mit einigem Stolz feststellen, dass die Landwirtschaft und die Forstwirtschaft vom Gartenbau profitiert haben. 

In der Diskussion um das eigenständige agrarsoziale Sicherungssystem ist es ruhig geworden. Der Strukturwandel geht weiter. Bleibt das so? 
Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat sich eindeutig dafür ausgesprochen, an der landwirtschaftlichen Sozialversicherung festzuhalten. Für mich bleibt das entscheidende Argument, dass die Belange unserer Betriebe nur in einem eigenständigen Träger hinreichend Berücksichtigung finden. Ich sehe gegenwärtig niemanden in der Politik, der das System in Frage stellt. 

Wie entwickeln sich die Strukturen im Gartenbau? 
Wir verlieren jedes Jahr 2 bis 3% unserer Betriebe. Diesen Rückgang verzeichnen wir seit vielen Jahren, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Ich glaube, die Wirtschaftskraft der Branche wird bleiben, sie wird nur von weniger Betrieben und häufig auch größeren Betrieben gewährleistet werden.

Inwieweit wird der Fachkräftemangel den Strukturwandel beschleunigen? 
Fachkräftemangel ist ein großes Problem. Wir müssen konkurrenzfähige Löhne zahlen, um mit anderen Branchen mitzuhalten und gute Leute zu bekommen. Das ist die eine Herausforderung. Die andere ist der Mindestlohn, den wir im Gartenbau unseren Saisonbeschäftigten zahlen. Hier kann ich der Politik nur dringend raten, sich rauszuhalten und die Entscheidung der Mindestlohnkommission zu überlassen. Eine politische Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro würde in unserer Branche zu einem Aufschrei führen. Die politischen Akteure müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Mindestlohn nur für unsere Saisonarbeitskräfte gilt, nicht jedoch für die Festangestellten. Das sind ausgebildete Fachkräfte, die nach Tarif bezahlt werden. Darüber muss gesprochen werden, weil wir sonst ein Gehaltsgefälle bekommen, dass die Branche nicht verkraftet. 

Wohin geht die Reise der Verbände unter dem Dach des ZVG? 
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in naher Zukunft, also spätestens in acht bis zehn Jahren, von gegenwärtig elf auf nur noch vier Regionalverbände in Deutschland kommen werden. Das wird die Zukunft sein, dass wir im Norden, Osten, Süden und Westen solche Verbände haben. Der Gartenbau wäre nach meiner Überzeugung gut beraten, wenn das keine eigenständigen Regionalverbände sein würden, sondern Dependancen des Zentralverbands. Damit könnten Synergien genutzt und die Schlagkraft der berufsständischen Interessenvertretung erhöht werden.

Ist die Diskussion abgeschlossen? 
Nein, die wird weiterhin zu führen sein. Aber die großen Landesverbände müssen jetzt entscheiden, solange sie noch in einer guten Situation sind und nicht erst, wenn es zu spät ist. Auch Verbandsarbeit braucht proaktives Handeln.

Präsident eines Spitzenverbandes geht nicht nebenbei. An wie vielen Tage in der Woche waren Sie im Schnitt für den Verband unterwegs? 
Manchmal an sechs Tagen in der Woche, manchmal auch nur an zwei. Geschätzt war ich rund 180 Tage im Jahr für den Verband unterwegs. Da sind Termine in anderen Positionen inbegriffen, die mit dem Präsidentenamt verbunden sind.  

Wer mutet sich das künftig noch zu? 
Ich kann nur sagen, meinem Betrieb hat es gutgetan. Mein Sohn konnte sich und den Betrieb viel besser entfalten, weil ich so oft nicht da war und ich mich selten eingemischt habe.

Was bleibt unter dem Strich nach 12 Jahren Präsidententätigkeit? 
Ich habe über die Verbandsarbeit viele tolle Menschen kennengelernt, in der Branche, in der Politik, in anderen Verbänden. Das war bereichernd und anregend, das möchte ich nicht missen. Das gilt nicht zuletzt für das Team in der Geschäftsstelle mit Bertram Fleischer an der Spitze. Die Zusammenarbeit hat mir immer großen Spaß gemacht. Das wird der Teil sein, den ich wahrscheinlich am meisten vermissen werde, mehr als die politischen Gespräche.

Wie sieht Ihr Abklingbecken aus? 
Meine Frau hat gesagt, dass am 20. September endlich mal Schluss ist mit dem Präsidenten.  Ich habe ihr zugesagt, dass ich nicht mehr allein unterwegs sein werde. Gereist wird nur noch zusammen. Mein Sohn hat angekündigt, dass er auf dem Betrieb schon etwas für mich finden wird. Ich bin daher zuversichtlich, dass mir nicht langweilig wird.

Vielen Dank für das Gespräch. AgE

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